Neben den klassischen Säulen der Krebstherapien gilt der Fokus immer mehr der „Personalisierten Medizin“. Durch sie sollen Therapien individueller werden und damit auch mehr Erfolgsaussichten bringen. Wir sprachen mit drei ExpertInnen der Österreichischen Plattform für Personalisierte Medizin (ÖPPM).

Dr. Armin Gerger

Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Armin Gerger ist stv. Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie an der Medizinischen Universität Graz

Können Sie grob skizzieren, was „Personalisierte Medizin“ bedeutet?

Gerger: In der Personalisierten Medizin geht es darum, dass man PatientInnen identifizieren will, die auf eine bestimmte Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit ansprechen, bei gleichzeitig keinen oder nur geringen Nebenwirkungen. Die Onkologie gilt hier gewissermaßen als Vorreiter, da aufgrund potentieller Toxizitäten von Chemotherapien bereits sehr früh Biomarker untersucht wurden um onkologische Therapien zu optimieren.

Obermayer-Pietsch: Die Onkologie hat hier tatsächlich einen Weg geebnet, dem wir in der Inneren Medizin, bspw. bei Stoffwechselerkrankungen wie dem Diabetes mellitus, nun folgen.

Wie weit ist die Personalisierte Medizin im Krebs-Bereich?

El-Heliebi: Ich sehe die Personalisierte Medizin in der Onkologie sehr fortgeschritten. Dies ist ein sehr dynamisches Feld, das durch viele technologische Fortschritte, wie das „Next Generation Sequenzing“, vorangetrieben wird. In der Klinik ist es bereits teilweise Routine, dass Gewebeproben sequenziert werden um anschließend Therapieentscheidungen zu treffen. Inzwischen gibt es mit der Liquid Biopsy auch die Möglichkeit, direkt aus Blutproben Biomarker zu identifizieren.

Es gibt aber auch noch Herausforderungen: die Analysen sind nicht günstig und auch die klinische Evidenz, dass molekulares Profiling nach Ausschöpfen der evidenzbasierten Therapien einen deutlichen Nutzen für PatientInnen hat, ist noch immer ein großer Knackpunkt.

Gerger: Eine Untersuchung onkologischer Studienprogramme hat gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Medikament in der Onkologie aus der Phase 1 in die Zulassung gelangt bei rund 5% liegt. Hat man allerdings früh Biomarker eingesetzt, um jene PatientInnen zu identifizieren, die einen Nutzen haben, zeigt die Studie, dass die Wahrscheinlichkeit auf eine Zulassung um das 3-4-fache steigt.

Ein Highlight war die gerade erst erfolgte Zulassung von Larotrectinib, einer tumoragnostischen Krebstherapie, durch die EMA. Zeigen sich NTRK Genfusionen im Tumor, scheint Larotrectinib unabhängig der Tumorentität und auch in späteren Therapielinien hoch wirksam zu sein.

Dr. Obermayer-Pietsch

Univ-Prof. Dr. Barbara Obermayer-Pitsch ist Präsidentin der Österreichischen Plattform für Personalisierte Medizin (ÖPPM)

Bedeutet individuellere Therapie auch bessere Erfolgsaussichten?

Gerger: Das ist das Ziel in der Personalisierten Medizin! Durch die Vorab-Analysen kann die Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit prognostiziert werden. Oder wir erfahren dadurch, welches Medikament nicht verabreicht werden sollte, da hohe Toxizitäten zu erwarten sind. Biomarker finden zunehmend Einzug in unsere tägliche klinische Routine und ermöglichen onkologische Therapien zu optimieren.

Wie ist der Stand in Österreich? Haben wir ausreichend Expertise?

Obermayer-Pietsch: Mit der Gründung der ÖPPM 2017 haben wir eine Plattform zur nationalen Vernetzung von WissenschaftlerInnen geschaffen und forcieren gleichzeitig Synergien zwischen Technologie und Diagnostik. Zugleich unterstützen wir die internationale Sichtbarkeit von österreichischen ForscherInnen. Wir sind allerdings keine Plattform zur Patientenbetreuung, sondern konzentrieren unsere Arbeit auf Forschung und Fortbildung in der Medizin.

El-Heliebi: Nachdem heutzutage Forschungen immer internationaler werden und oftmals gemeinsam an einem Thema geforscht wird, ist diese Vernetzung enorm wichtig. Mit der ÖPPM hat Österreich eine perfekte Plattform dafür geschaffen.

Daneben gibt es natürlich auch Unternehmen, die forschen und Entwicklungen vorantreiben wollen. Dazu gibt es mit CBmed, einem Zentrum für Biomarker-Forschung, einen guten Ansprechpartner in Graz und Wien. Das Zentrum, mit Partnern wie der MedUni Graz und Wien, wird teilw. gefördert sowie durch Mittel aus der Industrie unterstützt und ist damit ein attraktiver Ansprechpartner für Pharmaunternehmen, die ein Forschungsprojekt umsetzen wollen.

Gerger: Gerade die Personalisierte Medizin ist ein komplexes Thema. Weiterentwicklung soll daher interdisziplinär und in Netzwerken erfolgen.  Genau hier unterstützt die ÖPPM.

Dr. El-Heliebi

Univ-Ass. Priv.-Doz. Dipl. Ing. Amin El-Heliebi, PhD, ist Leiter der wissenschaftl. Abteilung Krebs am CBmed, Koordinator für Krebsforschung, Lehre, Aus- und Fortbildung am Comprehensive Cancer Center Graz

Wird in Zukunft jede Patientin, jeder Patient individuell behandelt?

Gerger: Das wird nicht von heute auf morgen passieren. Allerdings sehen wir schon, dass inzwischen kaum mehr Studien ohne zumindest Biomarker-Begleitprojekt durchgeführt werden bzw. Biomarker gesteuert sind.

El-Heliebi: Damit auch jede Patientin und jeder Patient eine individuelle Behandlung bekommen kann, benötigt es aber noch einiges an Forschung. Das hängt zum Beispiel davon ab, ob neue Medikamente für jene Patientengruppe entwickelt werden können. Das ist aber das Ziel, wo wir langfristig hinwollen.

Wo sehen Sie die Grenzen der Personalisierten Medizin?

Gerger: Wir lernen zunehmend, dass die alleinige genetische Charakterisierung nicht ausreicht um eine komplexe Erkrankung wie Krebs umfassend darzustellen. Ich denke, dass wir in Zukunft auch andere Ebenen der Analysen, wie bspw. metabolische Parameter, miteinbeziehen werden, um onkologische Therapien weiter zu verbessern.

El-Heliebi: Daneben spielt sicher auch die Frage der Dauer einer Analyse eine Rolle. Bis Proben analysiert, sequenziert und interpretiert sind, schreitet eine Erkrankung bei PatientInnen weiter fort. Und gerade Krebserkrankungen sind umso komplexer je weiter sie fortgeschritten sind.

Obermayer-Pietsch: Mögliche Grenzen – z.B. welche Daten überhaupt bei PatientInnen erhoben, analysiert und verarbeitet werden dürfen – sind Thema der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion bei der ÖPPM. Es gibt eigene Arbeitsgruppen zu Gesellschaft und Ethik, in denen Fragen zu Akzeptanz, Kosten und Datenschutz diskutiert werden.

Weitere Informationen zur Personalisierten Medizin finden Sie auf der Website der ÖPPM.

Autor: Lukas Winter
Bilder: Adobe | ZVG | ipse

Hinterlasse eine Antwort