Mit der Diagnose Krebs umgehen und leben zu lernen ist nicht leicht. Auch dem sozialen Umfeld fällt es oft schwer, richtig auf die/den Betroffene/n zu reagieren. Susanne Reinker, selbst vor 12 Jahren an Krebs erkrankt, schrieb in Ihrem Buch „Kopf hoch, Brust raus“ was man im Umgang mit Krebs alles richtig machen kann.
Frau Reinker, haben Sie Verständnis dafür, dass sich viele Mitmenschen schwertun, richtige Worte zu finden?
Das K-Wort löst immer noch dieselben Horrorvorstellungen aus wie in den 50er Jahren, und das verschlägt den Leuten die Sprache. Was für mich nachvollziehbar ist – und trotzdem unfassbar. In Deutschland erkrankt fast die Hälfte der Bevölkerung einmal im Leben an Krebs. Die andere Hälfte ist indirekt betroffen, als Partner*in/Elternteil/Kind/Freund*in. Da ist es überfällig, hin- anstatt wegzuschauen und sich mit dieser Krankheit auseinanderzusetzen. Wer das tut, wird ziemlich schnell die richtigen Worte finden.
Was ist ein absolutes No Go für Bekannte/Verwandte im Umgang mit der Krebserkrankung?
Hartnäckige Bekehrungsversuche, ob nun zur „richtigen“ Ernährung, zur „besten“ inneren Einstellung („du musst jetzt positiv denken!) oder zum einzig wahren Glauben. Betroffenheitsklatsch mit gemeinsamen Bekannten über unser tragisches Schicksal: „Hast du schon gehört, die Soundso hat Krebs, die Arme!“ Für mich sind solche Leute nichts anderes als Unfall-Gaffer. Kontakt abbrechen oder „unauffällig“ einschlafen lassen. Jede/r Krebsveteran/in hat mindestens zwei „Freunde“ im Bekanntenkreis, die einfach abgetaucht sind. Das macht denen das Leben leichter – bloß nicht an mehr an Krebs denken müssen! – aber für uns ist es ganz schlimm.
Was raten Sie Betroffenen, die von ihrem Umfeld gemieden werden?
Es hilft, sich ganz pragmatisch zu sagen, dass solche Leute uns das Leben eh nur noch schwerer machen würden. Wer mit dem bösen K nicht umgehen kann, soll wegbleiben. Wir haben – oder finden! – immer auch zugewandte Menschen, die uns den ganzen Behandlungsparcours über zur Seite stehen.
Sie haben ein ganzes Buch über den „richtigen“ Umgang mit Krebs geschrieben. Warum war Ihnen das wichtig?
Obwohl sich Früherkennung, Behandlungsmethoden und Heilungsaussichten unglaublich verbessert haben, ist die Horrorvorstellung „Krebs = Todesurteil“ immer noch fest in den Köpfen verankert. Deshalb haben wir es immer mit zwei Gegnern zu tun: mit den bösen Zellen und mit dem Vorurteil, dass wir quasi automatisch Tote auf Abruf sind. Da noch die überlebensnotwendige Zuversicht aufzubringen, ist unglaublich schwer. Diesen Kraftakt will ich zukünftigen Krebsneulingen ersparen. Und zwar nicht nur durch Tipps, wie sie sich das Leben leichter machen können. Sondern auch, indem ich Nicht-Krebsen erkläre, was sie tun können, um uns zu helfen. Und was sie bitteschön bleiben lassen sollen.
Was ist Ihre Botschaft an all jene, die das Gefühl haben, nicht richtig mit der Situation umgehen zu können?
Hilflose Reaktionen sind auf das Krebs=Todesurteil-Klischee zurückzuführen. Das lähmt den Verstand und macht es schwer, pragmatisch zu reagieren. Dabei gibt es nicht „den“ Krebs, sondern hunderte verschiedene. Verschieden verursacht, verschieden behandelbar, verschieden schnell wachsend, verschieden aggressiv. Der erste Schritt ist deshalb, Horrorvorstellungen durch Fragen ersetzen: WELCHER Krebs? Was hat der Arzt gesagt? Soll ich dir eine Adresse für eine Zweitmeinung besorgen? Kann ich dir in den nächsten Tagen etwas abnehmen? Auf Fragen können wir antworten, werden von armen Opfern zu Gesprächspartnern. Und Gespräche sind ein erster Schritt hin zu einer neuen Normalität. Für alle Beteiligten.
Weitere Informationen zum Buch “Kopf hoch, Brust raus” finden Sie auf www.kopf-hoch-brust-raus.de und auf www.susanne-reinker.de
Autor: Lukas Winter
Bilder: Adobe Stock | ZVG